Gefeiert, verschmäht, lobgepriesen, verachtet. Paulo Coelhos internationaler Bestseller Der Alchimist polarisiert bereits seit 1988 und gibt mir mit der unter’m Strich dennoch überwiegend positiven Resonanz ein Rätsel auf. Aber gut, Modern Talking landete schließlich auch in den Charts.
Coelho erzählt auf knapp 180 Seiten die Geschichte des Schafhirten Santiago, der nach einem wiederkehrenden Traum von einem Schatz bei den Pyramiden in Ägypten aus seiner Heimat in Spanien aufbricht, um diesem Traum zu folgen und den Schatz zu finden. Auf dem Weg dorthin trifft er nicht nur auf Menschen, die ihn ermutigen und unterstützen, sondern auch auf Hindernisse und Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Der Roman balanciert zwischen Kunstmärchen und Selbsthilfe-Ratgeber, Coelhos nicht zu verfehlende Message ist hier eine vermeintlich positive: Folge deinen Träumen und das Universum wird dir helfen.
Der inspirierende Kern des Buches schwingt allerdings relativ bald in eine beängstigend dogmatische Glaubenslehre um. Die Geschichte wirkt immer mehr wie etwas, das genauso in der Bibel hätte stehen können. Eigentlich vorhersehbar, Coelho stellt der Geschichte einen Bibelvers voran, der es in sich hat:
Der Vers perpetuiert das religiöse Ideal des in alle Lebensbereiche eindringenden Glaubens und dessen Priorisierung über alle weltlichen Pflichten. Auch Coelho folgt diesem Ideal in seiner Geschichte: das zunächst positive “Folge deinen Träumen”-Geschwurbel entpuppt sich nach und nach als kollektivistische Ideologie. Der Schafhirte Santiago erfährt, dass seine Wünsche »[…] aus einer Weltseele geboren […]« (S.2 8) sind und deren Erfüllung nun seine verpflichtende Lebensaufgabe sei. Dabei sind diese Wünsche nicht persönlich oder veränderlich, sondern gehören zu einem Lebensplan, der wie alles auf der Welt bereits vorbestimmt ist. Wieder kann man das typisch religiöse Ideal erkennen: höhere Instanz geht vor Individuum, in diesem Fall nicht Gott, sondern die Weltseele, einem übergeordneten Äquivalent zur individuellen Seele eines jeden Menschen, die sich aus dem »[…] Glück der Menschen speist […]« (S. 28). Später im Buch bestätigt sich dann, was der Titel schon vermuten lässt: irgendwie hängt das ganze auch noch mit den Geheimnissen der Alchemie zusammen, die wohl als einzige “Wissenschaft” die Welt in ihrer wahren Form begreift.
Alle diejenigen, die ihren “persönlichen” Lebensplan erfüllen, werden vom Universum unterstützt und genießen ein glückliches Leben. Für all jene, denen die Erfüllung dieses Lebensplans aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich ist, hat Coelho nur elitistische Missachtung übrig und offenbart damit wie peinlich unbewusst ihm seine eigene privilegierte Situation ist.
Noch dazu wird durch die angebliche Existenz der von Coelho präsentierten Weltseele im Prinzip die Umsetzung jedes Traumes oder Wunsches legitimiert, da er zu jemandes Lebensweg gehört und so dem großen Ganzen dient. Es wird nicht unterschieden zwischen guten und schlechten, nützlichen und schädlichen Wünschen. Das ist natürlich haarsträubend, wenn man bedenkt, dass vor gar nicht all zu langer Zeit ein debiler Lappen mit Seitenscheitel auf dem Weg zur Erfüllung seines Traums vom arischen Großreich über 6 Millionen Menschen umbrachte.
Und wer jetzt denkt “Ja, das kann man doch nicht so wörtlich verstehen” oder “Etwas zu schreiben heißt nicht es zu begrüßen”, der setze sich wohl am besten, damit er nicht aus den Latschen kippt, wenn ich ihm sage, dass Coelho dieses Dummgeschwätz von einer Weltseele tatsächlich selber glaubt. Und alleine ist er damit auch nicht. Der Glaube an eine Anima Mundi, die Seele des ganzen Universums äquivalent zur Seele eines Individuums, existiert tatsächlich in pantheistisch religiösen und naturphilosophischen Strömungen. Nicht alle davon sind verrückt, Platon und Kant stellten zu diesem Thema nuanciertere und im zeitlichen Kontext wesentlich weniger abstruse Überlegungen an als Coelho. Seine esoterisch verblendete statt philosophisch abstrakte Herangehensweise verdank Coelho wohl seinem Aufenthalt in einem ominösen religiösen Orden in Spanien (laut eigener Schilderung in »Auf dem Jakobsweg – Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela«), in dem er das Gewäsch über eine pantheistische Weltseele aufgeschnappt hat.
Coelho trifft in seinem Opus Magnum (Mendicum, wie ich hinzufügen möchte) den Zeitgeist wie de sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf. In den 80ern wird unter dem Begriff New Age esoterischer Quatsch wieder salonfähig und Coelho schlägt in diese Kerbe mit einer derartigen Unbeirrbarkeit, dass man meinen könne, sein Leben hinge davon ab. Der Alchimist trieft nur so vor Pseudo-Spiritualität und oktroyiert dem Leser gnadenlos Coelhos verquere und vollkommen verblendete Glaubensgrundsätze auf. 180 Seiten fühlen sich bei Coelho an wie alle Game of Thrones Bände zusammen (inklusive der bisher nicht erschienenen Teile). Seite um Seite salbadert er vor sich hin, als hätte er die Weisheit mit Suppenkellen in sich hineingeschüttet, doch bleibt er dem Leser wahre lebensbereichernde Erkenntnisse schuldig. Er quält den Leser mit einem endlos langweiligen Plot, der mit einem Haufen religiöser Symbolik angereichert nur dazu dient sich selbst und seine angebliche philosophisch theologische Versiertheit zu beweihräuchern. Sprachlich ist Der Alchimist unauffällig, und das ist hier Coelhos größtes Gelingen. Aber vielleicht gehört ein gewisser Überfluss an Banalität bei einem Bestseller ja auch einfach dazu. Cheri, Cheri Lady, going through emotion, love is where you find it, listen to your heart… (fade out)
Meins ists auch nicht, daher ists dann doch erfrischend, dass es nicht von allen gehyped wird =)