Das Hotel New Hampshire, 1981 als fünfter Roman des amerikanischen Kult-Autors erschienen, ist bislang mein erster (und zu mindest für eine Weile auch letzter) Irving. Der Roman erzählt von der Familie Berry, bestehend aus den beiden Eltern und 5 Geschwistern, deren Familiengeschichte maßgeblich durch des Vaters Obsession von der erfolgreichen Führung eines eigenen Hotels geprägt ist.
Die Eltern, die beide aus dem gleichen Dorf in New Hampshire stammen, lernen sich als Teenager bei einem Ferienjob in einem Hotel in Maine lieben, heiraten und bekommen schließlich 5 Kinder. Der Vater arbeitet wie schon sein Vater davor als Lehrer an der lokalen High School, bis er seinen Job kündigt, um seinen Traum vom eigenen Hotel zu verwirklichen. Nachdem das erste Hotel New Hampshire sich als Reinfall auf ganzer Linie entpuppt, nimmt der Vater seine Familie mit nach Wien zu einem alten Freund, um dort das zweite Hotel New Hampshire zu eröffnen und zum Erfolg zu führen. Hier nimmt die Geschichte mit verkleideten Bären, Prostituierten und linksradikalen Nachbarn seinen absurden Lauf.
Erzählt wird die Geschichte vom mittleren Sohn John, dem wie er selbst von sich behauptet »am wenigsten voreingenommenen« der Kinder, der nun die »Tatsachen ins rechte – oder fast rechte – Licht« rücken will (S. 10). Wir haben es also mit einer subjektiv gefärbten Perspektive und einem vermutlich unzuverlässigen Erzähler zu tun. Das wirkt sich jedoch leider nicht spürbar auf Geschichte oder Charakterisierung von Figuren aus, da ist noch viel Raum für Experimente mit der Erzählperspektive.
Insgesamt sind die Charaktere eine große Enttäuschung, Irving bedient sich hier nahezu ausschließlich ausgelutschter Stereotypen. Frank, der älteste der fünf, verkörpert den exzentrischen Schwulen, der sich gern verkleidet (vor allem natürlich mit Uniformen aller Art) und sein Leben lang von anderen als Außenseiter identifiziert wird. Franny, die zweitälteste, ist die typische wilde Naturschönheit, von der alle Jungs – inklusive des kleinen Bruders – irgendwie grundlos fasziniert sind. Als Erwachsene wird sie Filmstar. Johns kleine Schwester Lily hört irgendwann auf zu wachsen und betrachtet ihre geringe Körpergröße zeitlebens als Makel, ist übermäßig selbstkritisch und wird als erwachsene Schriftstellerin, die ihren eigenen Bestseller hasst. Der Vater der Familie kriegt vor lauter beruflicher Obsession kaum etwas in der Familie mit.
Noch viel unverzeihlicher jedoch finde ich Irvings Vernachlässigung der Mutter und des jüngsten Bruder in Bezug auf ihre charakterliche Entwicklung. Man kann nur spekulieren ob Irving sich die Mühe nicht machen wollte, weil die beiden Charaktere ohnehin nach der Hälfte der Geschichte sterben. Keine Sorge, dieser (Nicht-)Spoiler ist so irrelevant, dass er in der Geschichte nur in einem Nebensatz abgehandelt wird.
Der Plot ist geprägt von Wahnwitz: die Adoption des Bären Namens State O’ Maine durch das junge Ehepaar Berry, die Benennung des jüngsten Kindes in “Egg”, das Zusammenleben im zweiten Hotel New Hampshire mit Prostituierten und Links-Autonomen, die der Familie irgendwann zum Verhängnis werden. Hinzu kommen schwere Themen wie Tod, Vergewaltigung und Inzest. Wer als Leser normale Reaktionen auf normale (oder auch weniger normale) Sachverhalte schätzt, ist bei Hotel New Hampshire an der falschen Adresse. Die meiner Meinung nach überzogene Absurdität der Geschichte machte das Buch teilweise unnahbar für den Leser und führte bei mir dazu, dass ich das Buch in mehrtägigen Lesepausen fast vollkommen vergaß und es mich nicht drängte es wieder in die Hand zu nehmen.
Positiv aufgefallen sind mir jedoch einige Motive, die mich teilweise wirklich bewegt haben. Das Motto der Geschwister »Bleib weg von offenen Fenstern!« mit dem sie sich stets auch in schweren Zeiten gegenseitig Mut zusprachen oder Opa Bobs Feststellung »Nichts bewegt sich hier im Hotel New Hampshire! Wir sind hier festgeschraubt – lebenslänglich!« (S. 181), was ursprünglich auf die festgeschraubten Möbel des Hotels anspielte, jedoch bald zu einer geflügelten Bezeichnung der Zustände wurde. Besonders aber hat mich die Figur Kummer berührt. Kummer ist der Familienhund, der wegen seiner furchtbaren Blähungen eingeschläfert wird, die Familie aber nie wirklich verlässt. Frank stopft ihn aus, auch Kummer wird danach wie alles im Hotel festgeschraubt. Kummer stellt hier das personifizierte Leiden der Familie dar, das nie wirklich weggeht, quasi an ihnen festgeschraubt ist.
Insgesamt sehe ich im Hotel New Hampshire eine Menge Potential, das leider unausgeschöpft blieb. Ich kann nicht sagen, dass es mir nicht gefallen hat, ich bin ein Fan starker Motive und Symbole, aber aufgrund der schieren Unfassbarkeit, die die Geschichte maskierte, habe ich leider das Gefühl, dass mir das Herz des Werkes verschlossen blieb.
Das Bild ist sehr schön geworden. Gerade farblich ist es sehr ansprechend. Ich mag deine schonungslosen Rezensionen einfach sehr! Gerade bei Kultautoren neigen viele ja dazu die Bücher mögen zu “müssen”, umso erfrischender und authentischer ist es da, kritische Stimmen zu hören. Gelesen habe ich das Buch bisher nicht, was sich womöglich auch nicht ändern wird. Denn stereotype Charaktere finde ich auch ziemlich enttäuschend.
Zeilentänzerin