Bewertung
Spoilerfreie Rezension
Ein kurzes, aber nicht minder lesenswertes Vergnügen ist mit seinen nur knapp hundert Seiten Patrick Süskinds Novelle „Die Taube“ aus dem Jahre 1987.
Der Protagonist Jonathan Noel lebt einfach und zurückgezogen seit Jahren im gleichen kleinen Zimmer und arbeitet als Wachmann bei einer Pariser Bank. Sein Leben verläuft recht gleichförmig bis „die Sache mit der Taube“ passiert. Mehr will ich über den Inhalt auch gar nicht verraten, damit sie spoilerfrei bleibt.
Jonathan Noel ist so anders als alle anderen und bietet doch so viel Identifikationspotential und bringt uns dazu unsere eigenen Muster, in denen wir uns vielleicht festgefahren haben ohne es zu merken, zu überdenken. Ein großartiges Lesevergnügen für zwischendurch, das sogar ab und an einen Anlass zum Schmunzeln bietet.
Diskussion *Achtung, Spoiler*
Jonathan Noel stellt meiner Meinung nach eine karikierte Version von uns allen dar, dem Otto-Normalbürger. Wir alle sind in gewisser Weise Gewohnheitstiere, wir stellen uns auf bestimmte Situationen und Abläufe ein und fühlen uns gestört, wenn diese gestört werden. Häufig regt man sich darüber zu sehr auf, regt sich generell über Kleinigkeiten zu sehr auf und vergisst, wie schön das Leben eigentlich sein kann.
Jonathan malt natürlich beim Auftauchen der Taube sofort den Teufel an die Wand, er bereitet sich auf das Schlimmste vor. Der Stress, der dabei entsteht sofort derart überzureagieren, verdirbt ihm den ganzen Tag. Er kann nicht konzentriert arbeiten, seine Mittagspause nicht so verbringen wie er es gern getan hätte, seine unberechtigten Existenzängste treiben ihm derart in den Wahnsinn, dass jedes weitere winzige Unglück an jenem Tag ihm wie eine eigene Apokalypse erscheint. Er steigert sich eben rein. Dann reißt auch noch die Hose, dann hat auch noch die Schneiderin keine Zeit – was für ein Tag. Ich habe mich beim Lesen ein bisschen ertappt gefühlt, denn häufig begehe ich den gleichen Fehler jede Kleinigkeit auf einen gedanklichen Haufen mit der Aufschrift “Das ist heute schief gelaufen” zu legen, was einem am Ende des Tages nichts weiteres einbringt als Stress und Frust.
Hin und wieder las ich über dieses Buch im Internet es sei „kafkaesk“ und in gewisser Weise stimmt das auch. Die fatalistische Einstellung des Protagonisten und die Reihe ungünstiger Ereignisse sind durchaus als kafkaesk zu beurteilen, jedoch ist es das Ende, was nicht nur die kafkasche Tradition des absoluten Unglücks durchbricht, sondern mich persönlich auch besonders gefreut hat. Dass Jonathan schließlich in seien Wohnung zurückkehrt und eine gesunde Gleichgültigkeit gegenüber Nichtigkeiten erlangt hat und sich sogar im strömenden Regen auf die Straße wagt, ist wirklich ein Gewinn für die Geschichte. In seiner Wohnung, die mittlerweile nicht mehr von der Taube heimgesucht ist, angekommen erkennt er, wie verzichtbar das ganze Drama, dass er gewissermaßen selbst erst initiiert hat, gewesen ist. Außerdem ist Jonathan in seinem Wahnsinn trotzdem eine wahnsinnig sympathische Figur, die man zwar immer wieder mal mit einem “Reiß dich zusammen” auf den richtigen Weg weisen will, die aber trotzdem sehr sympathisch ist. Ich musste beim lesen sehr häufig an Mr. Monk aus der gleichnamigen Fernsehserie denken, da ergeben sich viele Parallelen.
Ich habe das Buch auch gelesen, ist ewig her. Dank deiner launigen Rezension habe ich jetzt wieder Lust, es nocheinmal aus dem Regal zu holen. Danke dir.
Hallo Jana,
dank der Instagram-Challenge zur #Buchpassion bin ich auf deinen toll gestalteten Blog aufmerksam geworden und direkt hängen geblieben. Ich mag deine Art, wie du ein Buch betrachtest und deine Gedanken zu Wort bringst.
Ich bin gespannt, was noch so alles folgt.
Herzlich, Nela