Arthur Schnitzler – Traumnovelle


Traumnovelle Arthur Schnitzler Insel-Verlag | 112 Seiten
ISBN: 3458192387 | 13,95€


Worum geht’s?

Fridolin und Albertine führen eine harmonische Ehe, bis sie anfangen sich gegenseitig ihre erotischen Fantasien gestehen. Als Fridolin, der Arzt ist, zu einem nächtlichen Krankenbesuch gerufen wird, beschließt er nach Erfüllung seiner beruflichen Pflicht nicht wieder nach Hause zu gehen, sondern sich seinen Gelüsten hinzugeben und folgt einem alten Freund, den er zufällig trifft, in eine geheime Gesellschaft, in der die Mitglieder maskiert Orgien abhalten.

Spoilerfreie Rezension

Dieses Buch ist die Romanvorlage zu Stanley Kubricks Eyes Wide Shut ist. Der Film hat mir wirklich gut gefallen, auch wenn es nun doch schon eine Weile her ist, dass ich ihn gesehen habe. Natürlich ist Kubrick ein wahnsinnig talentierter Künstler, aber dennoch hat es mich verwundert, wie wenig Unterhaltung die Romanvorlage tatsächlich hergibt.

Ihr ahnt es also schon, das Buch hat mir nicht so besonders gut gefallen. Ein wichtiger Aspekt des Buches soll darin bestehen, dass Fridolin “einen Abstieg in die Tiefen seiner eigenen Psyche” (Quelle) unternimmt. Ich muss ganz ehrlich sagen, eine optimistischere und großzügigere Überinterpretation ist mir noch nie begegnet. Fridolin kommt nicht damit klar, dass seine Frau im letzten Urlaub einen anderen Mann attraktiv fand, obwohl er in jenem Urlaub sogar versucht an ein nacktes Mädchen am Stand zu begrapschen. Daraufhin versucht er an einer geheimen Orgie teilzunehmen und wird nur daran gehindert, weil die veranstaltende Geheimgesellschaft ihn rausschmeißt bevor etwas nennenswertes passiert ist. Anschließend hängt er einer Frau nach, die er dort gesehen hat und erst als er diese um’s Verrecken nicht ausfindig machen kann und Albertine ihn fast bei seinen halbseidenen Aktivitäten erwischt, kommt ihm in den Sinn das ganze vielleicht zu lassen. Meine Damen und Herren, so sieht also ein “Abstieg in die Tiefen seiner eigenen Psyche” aus.

Auch dem Titel Traumnovelle wird der Inhalt nicht gerecht. Im Prinzip gibt es nur an einer Stelle des Buches einen Traum: Albertine träumt mit einem anderen Mann Zusammenzusein, während ihr Mann stirbt. Auch das bringt Fridolin natürlich auf die Palme. Lasst uns in diesem Zug noch kurz über das Frauenbild sprechen: Holy shit. Ich bin da normalerweise sehr verzeihend, vor allem bei sehr alten Büchern. Von der  Traumnovelle, erstmals erschienen 1925 in einer Berliner Modezeitschrift (I know), habe ich keine emanzipierten weiblichen Charaktere erwartet. Albertine ist Hausfrau, das ist okay. Aber dass ihr Mann, der sich ja selber im Punkto Treue nicht wirklich mit Ruhm bekleckert hat, einen richtigen Hass auf seine Frau hat, weil sie ihm ihren Traum erzählte und gestand mal einen anderen Mann attraktiv gefunden zu haben, gleich deswegen so ausrastet – not cool. Frauen werden hier als bloße Objekte sexueller Begierde, nie jedoch als Subjekte mit eigener Sexualität dargestellt.

Angesichts der geringen Seitenzahl von knapp 100 kann man das schon lesen, muss man aber nicht. Es ist ganz interessant, wenn man den Film gut fand, aber kein literarisches Muss. Das ganze liest sich wie die sexistische Fantasie eines alten, gelangweilten Patriarchen, der mit Frauen, die eigene sexuelle Wünsche haben, nicht umzugehen weiß. Ich war wirklich etwas enttäuscht. Man hätte die Abgründe der Sexualität nicht nur weniger sexistisch, sondern auch weniger oberflächlich und klischeehaft erkunden können. Ich empfand das Bild von sexueller Fantasie, das Schnitzler uns zeigt, nicht besonders vielschichtig und auch der psychologische Aspekt blieb meines Erachtens weitgehend unbeleuchtet. Ich habe mir wesentlich mehr davon versprochen.

Um ehrlich zu sein werde ich mir den Film wohl nochmal anschauen müssen, vielleicht war ich ja von Kubricks wunderbaren Bildern so geblendet, dass ich den ganzen Unsinn nicht erkannt habe. Es wird auf jeden Fall ein Buch/Film-Vergleich folgen.

Kennt ihr Film oder Buch? Wie hat er/es euch gefallen? In welchen Büchern fandet ihr die Charakterisierung von weiblicher Sexualität problematisch?

3 comments / Add your comment below

  1. Ich kann es gerade nicht fassen, dass ich fünf Tage nicht auf Deinem Blog gewesen sein soll. Aber muss ja scheinbar so sein, da ich die Rezension erst jetzt sehe =) Ich finde, das Buch klingt durchaus spannend, schade, wenn es dann nicht zu Deiner Zufriedenheit umgesetzt wurde.

    Neri, Leselaunen

  2. Ich denke nicht, dass der Traum hier als biologisches Phänomen des Augenzumachens und Ruhens begriffen wird, sondern als Frage, wo Wirklichkeit anfängt oder was wir als Wirklichkeit gemeinhin definieren. Im Buch sind mehrfach Textstellen auszumachen, wo zwischen Wirklichkeit und Traum nicht mehr unterschieden werden kann bzw. wo die zwei Welten transzendieren und verschwimmen. Bei der Interpretation hinsichtlich des Aspekts des Träumend wurde bestenfalls an der Textoberfläche gekratzt. Deine Ausführungen über das dargestellte Frauenbild fand ich jedoch sehr interessant!

    1. Hallo Johanna!
      Ich verstehe was du meinst, ich habe bevor ich angefangen habe zu lesen auch gesehen, dass viele das Traummotiv sehr tiefgreifend im Buch wiedergefunden haben, jedoch habe ich persönlich das eben nicht so empfunden. Mir wäre keine Textstelle in Erinnerung, die das irgendwie für mich deutlich gemacht hätte. Aber ich kann mich selbstverständlich auch irren und bin jederzeit bereit mich eines besseren belehren zu lassen! Mich würde interessieren, welche Textstellen du als exemplarisch dafür empfunden hast! 🙂
      Liebe Grüße
      Jana

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